Sucht in der Familie - oft ein Tabu
In der Schweiz wachsen rund 100'000 Kinder in alkoholbelasteten Familien auf. Die Alkoholprobleme sind vor allem innerhalb der Familie, aber auch für Aussenstehende ein Tabu.
Grundsätzlich gilt: Je enger die Beziehung zur betroffenen Person ist, desto grösser ist die Belastung. Daran leiden Menschen besonders im Kindesalter und noch Jahrzehnte später als Erwachsene.
Lea* ist eines dieser Kinder. Sie ist zwar noch klein, aber sie nimmt die Spannungen in ihrer Familie deutlich wahr. Sie zieht sich tagsüber in ihr Bett zurück und schläft sehr unruhig. Obwohl sie nachts häufig aufwacht, ruft sie fast nie nach den Eltern. Sie hockt stundenlang in ihrem Zimmer und spricht kein Wort und meidet auf Spielplätzen andere Kinder. Sie wirkt wie ein unsichtbarer Mensch.
Grosse Herausforderung für die Kinder
Kinder, die mit Eltern aufwachsen, die missbräuchlich Alkohol konsumieren, müssen täglich besondere Herausforderungen bewältigen. Der elterliche Alkoholmissbrauch bleibt dem Kind meistens nicht verborgen und wirkt sich auf die Befindlichkeit und die Entwicklung des Kindes stark aus. Das Kind nimmt die Eltern als gespaltene Persönlichkeiten wahr. Sie erleben ihre alkoholisierten Eltern vollkommen anders, im eher verwirrten Zustand. Die kindlichen oder jugendlichen Reaktionsweisen sind sehr unterschiedlich. Häufig tabuisieren Kinder den Alkoholkonsum des Elternteils. Sie «übersehen» die zitternden Hände des Vaters vor dem morgendlichen Bier oder übernehmen die Schutzbehauptungen der Eltern.
David* weiss nicht, warum seine Mutter so abweisend ist. Er leidet an einem geringen Selbstwertgefühl und stellt überhöhte Anforderungen an sich selbst. Er setzt sich unter Druck und vernachlässigt sich. Weil er gelernt hat, alles unter Kontrolle zu halten, entwickelt er nur zögerlich Vertrauen und meidet enge zwischenmenschliche Beziehungen. Er ist in der Schule unkonzentriert und leidet manchmal an Angstzuständen.
Laura* fürchtet täglich, dass in ihrer Familie ein Streit ausbrechen könnte. Irgendwie fühlt sie sich für das Alkoholproblem ihres Vaters verantwortlich und tut alles, um ihn und die Mutter zufriedenzustellen. Sie hat lernen müssen, Krisensituationen zu bewältigen und übernimmt manchmal auch Aufgaben ihrer Eltern. Auf dem Heimweg von der Primarschule macht sie sich immer schon auf das Schlimmste gefasst.
Alkoholkonsum gehört nicht zum Alltag
Solche Kinder wachsen mit der Vorstellung auf, dass häufiger Alkoholkonsum durchaus zum Alltag gehört. Drei Flaschen Wein pro Tag zu trinken betrachten sie als normal, weil sie solche Vorgänge so erlebt haben. Erst wenn aussenstehende Personen diese Sichtweise infrage stellen, merken sie, dass etwas nicht stimmen kann. Andere empfinden den Alkoholmissbrauch als sehr peinlich, schämen sich für ihre Eltern. Trotz des Mitleids, das die Kinder fühlen, reagieren sie aggressiv und verärgert. Diese Kinder beginnen den alkoholkonsumierenden Elternteil abzuwerten, sehen in ihm nur noch ein negatives Wesen. Der übermässige Alkoholkonsum ist eine andauernde Störung, die ein friedliches Familienleben verunmöglicht.
* Namen geändert
Wie unterstützt das Blaue Kreuz?
- Wir entlasten und informieren Kinder, dass sie keine Schuld tragen oder Verantwortung übernehmen müssen.
- Wir ermutigen sie, ihre Gefühle mitzuteilen. Es ist für sie entscheidend zu erfahren, dass auch andere in so schwierigen Verhältnissen aufwachsen.
- Das Blaue Kreuz bezieht in jede Behandlung eines alkoholabhängigen Elternteils das Wohl der minderjährigen Kinder mit ein. Stets klären wir ab, welche Hilfe die Angehörigen, und hier besonders die Kinder, benötigen.
- Wir unterstützen die Eltern im ihrem Elternsein.